Analog zeichnen in digitalen Zeiten?
Zeichnen mit Stift und Papier. Mühsam, Strich für Strich. Immer auf der Hut vor Tuscheklecksen, Kaffeerändern und der Eintagsfliege, die für ihr Ableben die große Bildfläche sucht. Warum tut man sich das an? Zumal in Zeiten, in denen das digitale Arbeiten am Rechner für die allermeisten von uns zur Selbstverständlichkeit geworden ist. In der man sich an die beruhigende Tastenkombination Strg+Z gewöhnt hat, mit der letzte Änderungen einfach ungeschehen gemacht werden können. Und in denen selbst das Zeichnen mit Pen auf Tablet immer näher an das “echte” Zeichengefühl herankommt.
Der Sog des Risikos
Zugegeben, das analoge Zeichnen wirkt ein bisschen anachronistisch von dieser Warte aus betrachtet. Und doch habe ich mich ganz bewusst dafür entschieden. Nicht trotzdem, sondern gerade weil dieser altmodischen Handarbeit etwas Unbedingtes anhaftet. Wenn die Tusche aufs Papier aufgetragen wird, dann heißt es: volle Konzentration, alles oder nichts. Gerade bei sehr feinen Zeichnungen ist die Spannung vor dem Strich kaum auszuhalten. Man atmet wie ein Biathlet.
Die Frustration nach dem Verzeichnen eines über Stunden und Tage entwickelten Motivs ist kaum zu beschreiben. Wenn ein Portrait dämlich schielt, ein Tier linkisch hinkt, ein schwarzer Anzug unschick verklumpt. Dasselbe gilt aber auch für das Hochgefühl nach einer gelungenen Strichlage. Und für die pure Euphorie nach einer vorsichtig wie ein rohes Ei Strich für Strich über die Ziellinie gebrachten, gelungenen Zeichnung.
Die einmalige Schönheit des Unperfekten
Eine Zeichnung, die so entstanden ist, wird nie so perfekt sein wie ein digitales Produkt. Das kann sie nicht. Trotz aller Mühen und technischer Finesse wird sie Makel aufweisen. Doch gerade diese Schönheitsfehler belegen, zumindest wenn sie klein und erst auf den zweiten Blick sichtbar sind, das handwerkliche Können, das in einer Zeichnung steckt.
Ein solches Bild ist ein wirklich einmaliges, lebendiges Unikat. Es riecht nach Papier, Tusche und einem Hauch von Buntstiftpigment. Es hat Schweiß, manchmal Tränen seines Urhebers gesehen. Und ganz selten den letzten Atemzug eines mühsam wegradierten Sechsfüßlers in sich aufgesogen.
Julian Opitz
14. August 2022
Original-Zeichnungen
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